7.2. – Vollkommenheit der Weisheit und Leerheit

„Vollkommenheit der Weisheit“ (PRAJNA, JNANA) bezeichnet die Sphäre der Nondualität bzw. der Transzendenz. Ein BUDDHA ist ein Mensch, der diese Vollkommenheit der Weisheit direkt erkannt hat (jenseits des Geistes und des Körpers, jenseits von Subjekt und Objekt). Da diese Sphäre jenseits des denkenden Geistes ist, kann man sie zwar umschreiben, aber nicht wirklich exakt benennen. Das ist einer der Gründe, warum es sehr viele verschiedene Umschreibungen dafür gibt.

Einige der gängigsten und hier auf diesen Seiten meist verwendeten Begriffe sind: formloses selbstgewahres SEIN (SAT) und jenseits davon (PARASAT), Immerwährende Glückseligkeit (ANANDA), BUDDHA, BRAHMAN (SAT-CIT-ANANDA), Natürlicher Zustand, Wirkliches ICH, Absolute Wirklichkeit, Absolute Wahrheit sowie DHARMAKAYA bzw. SVABHAVIKAKAYA (siehe auch die Vier Körper eines BUDDHA unter VAJRAYANA allgemein)

Die Philosophien des VAJRAYANA, des DZOGCHEN und ADVAITA VEDANTA sowie die Terminologie RAMANA MAHARSHIs führen alle zu einem theoretischen Verständnis dieser Sphäre und zu dem Wissen, dass einen nur die Meditationspraxis dorthin führen kann (liegt sie ja jenseits des Geistes und Körpers). Das „Erleben“, besser: SEIN dieser Sphäre, wird hier Direkte Erkenntnis genannt, um zu betonen, dass diese „Erkenntnis“ jenseits des denkenden und erkennenden Geistes ist („direkt“).

Durch Befriedung des Geistes wird dieser in der Meditationspraxis still, alle Gedanken hören auf. Schliesslich wird formloses selbstgewahres SEIN „direkt erkannt“. Hört auch während der Praxis das „Körper-Gefühl“, die subtile gefühlsmässige Identifizierung mit dem Körper („ich bin ein Körper, der gerade meditiert“), auf, so ist man im SAMADHI. Hier wird diese Art SAMADHI („im SEIN als SEIN ruhend“) als RAMANA SAMADHI bezeichnet, denn der Ausdruck SAMADHI wird in verschiedenen anderen Systemen unterschiedlich verwendet. Ist man schliesslich auch im Alltag, also jenseits der Meditiationspraxis, im RAMANA SAMADHI, so ist man ein BUDDHA.

Auf diesen Seiten verwende ich somit bewusst die Ausdrücke unterschiedlicher Systeme, wenn es um die „Vollkommenheit der Weisheit“ geht. Ich bin der Meinung, dass „formloses, selbstgewahres SEIN“ diese Sphäre am Anschaulichsten beschreibt, speziell während der Praxiserfahrung. „Immerwährende Glückseligkeit“ drückt wunderschön das Gefühl aus, dass man auch noch lange nach der Praxis erlebt. SEIN-SELBSTGEWAHRSEIN-GLÜCKSELIGKEIT oder SAT-CIT-ANANDA (BRAHMAN) ist die Umschreibung dieser Sphäre im System des ADVAITA VEDANTA.

BRAHMAN ist somit nichts anderes als ein BUDDHA.

RAMANA MAHARSHI bezeichnet die „Vollkommenheit der Weisheit“ als „Wirkliches ICH“ oder „Natürlichen Zustand“, geht es ihm ja primär um die Praxis, um die Direkte Erkenntnis dessen, wer oder was man ist („Wer bin ich ?“).

Leerheit (SUNYA oder SUNYATA) ist eines der bekanntesten philosophischen Konzepte im Buddhismus.

Leer bedeutet hier „leer von inhärenter Existenz“. „Inhärent existent“ benennt etwas, das immer, überall, unverändert und anstrengungslos vorhanden ist. Mittels Logik und Analytik kommt man sehr schnell zu dem Schluss, dass alle Wesen und alle Phänomene dieser Definition nicht entsprechen.

Umgekehrt wird „Wirklichkeit“, „Wahrheit“ oder „Vollkommenheit der Weisheit“ definiert als „das, was immer, überall, unverändert und anstrengungslos vorhanden ist“  –  also das, was inhärent (von sich aus, jenseits von Ursache und Wirkung, jenseits von Anstrengung) existent ist.

Leerheit beschreibt somit die Tatsache, dass weder unser Geist, noch unser Körper, weder innere noch äussere Phänomene „die Wirklichkeit“ sind. Ein BUDDA ist jemand, der diese „Vollkommenheit der Weisheit“ direkt erkennt, da er diese „Wirklichkeit“ erkennt, diese Wirklichkeit IST („im SEIN als SEIN ruht“).

Manche Interessierte werden eher vom Konzept der Leerheit angesprochen, andere eher vom Selbstgewahren SEIN oder „Wirklichen ICH“. Alle führen den Interessierten dazu, dass er zu meditieren beginnt nach Vorgabe eines Spirituellen Meisters, um DAS direkt zu erkennen, was jenseits der Leerheit ist, was selbstgewahres SEIN oder „Wirkliches ICH“ genannt wird.

Anmerkung:

Ein BUDDHA wird häufig als „Erleuchteter“ bezeichnet. Ich verwende diese Bezeichnung ebenso wie „Verwirklichter“ fast nie. „Erleuchtet“ hat einen „heiligen Beigeschmack“. Ein BUDDHA ist weder heilig noch wird er angebetet. Buddhismus ist keine Religion, sondern eine Summe unterschiedlicher Meditationstechniken und Philosophien. Ein BUDDHA ist ein Mensch, der die „Wirklichkeit“, das „Wirkliche ICH“ direkt erkannt hat, und immer und überall „im SEIN als SEIN ruht“.

„Verwirklicht“ passt als Umschreibung nicht so gut, da hier niemand ist, der etwas verwirklicht haben könnte. Formloses selbstgewahres SEIN ist immer, überall, unverändert und anstrengungslos. Und jenseits des Geistes und Körpers, also jenseits des Handelnden (Meditierenden). Daher kann man es nicht „verwirklichen“.

Leerheit (SUNYATA)

Die Leerheit (Sanskrit: Śūnyatā) ist ein zentrales Konzept in der buddhistischen Philosophie, das tiefgreifende philosophische und spirituelle Bedeutung hat. Sie ist ein Schlüssel zur Einsicht in die Natur der Realität und spielt eine entscheidende Rolle in der Meditation. Die Lehre von der Leerheit hilft, das Verständnis von Anhaftung, Leiden und dem Wesen des Selbst zu transformieren.

Mitgefühl für alle Wesen (Relativer BODHICITTA) und Direkte Erkenntnis der Wirklichkeit (Absoluter BODHICITTA), die Vollkommenheit der Weisheit im Sinne des Verständnisses der Leerheit (SUNYATA) und der spirituellen Verwirklichung ebendieser Weisheit sind die beiden Grundpfeiler des Buddhismus.

Vollkommenheit der Weisheit oder Direkte Erkenntnis der Buddhanatur hat viele Bezeichnungen, je nach Strömung oder spirituellen Tradition sowie deren Meditationstechnik und Philosophie.

Was bedeutet Leerheit ?

In der buddhistischen Philosophie bedeutet Leerheit nicht das Nichts oder die Abwesenheit von allem. Vielmehr bezieht sich ŚUNYATA auf die Abwesenheit von inhärenter Existenz oder von einem festen, unveränderlichen Selbst in allen Phänomenen. Alles, was existiert, ist in einem ständigen Zustand des Wandels und der Abhängigkeit von anderen Faktoren. Diese Einsicht führt zu der Erkenntnis, dass nichts für sich allein und unabhängig existiert.

Die zwei Aspekte der Leerheit

Relative Leerheit: Alles ist miteinander verbunden und abhängig. Nichts existiert in Isolation, und die Realität ist das Ergebnis von Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Faktoren. Diese Sichtweise fördert Mitgefühl und Verständnis für die Welt um uns herum.

Absolute Leerheit: Auf einer tieferen Ebene wird die Leerheit als die wahre Natur der Dinge verstanden. Diese absolute Leerheit ist jenseits von Konzepten, Begriffen und Dualitäten. Sie ist die Grundlage für die Befreiung aus dem Zyklus von Wiedergeburten (SAMSARA) und die Direkte Erkenntnis der Buddhanatur („Erleuchtung“.

Leerheit und das Selbst

Ein zentraler Aspekt der Leerheit ist die Einsicht in das Nicht-Selbst (ANATTA). Das Gefühl eines festen, dauerhaften Selbst (Körper-Geist-Komplex, Ego-Ich) ist eine Illusion, die zur Anhaftung und damit zum Leiden führt. Indem wir die Leerheit des Selbst erkennen, können wir uns von unseren Anhaftungen befreien und ein tieferes Verständnis für unsere wahre Natur entwickeln.

In den verschiedenen Strömungen wie PRAJNAPARAMITA, MAHAMUDRA oder DZOGCHEN gibt es philosophische Grundlagen, die einem logisch-analytisch ziemlich bald und eindrucksvoll zu der Tatsache führen, dass weder unser Körper noch unser Geist das „wirkliche Ich“ sein kann. (siehe auch ADVAITA VEDANTA).

Zusätzlich werden bis heute geniale Meditationstechniken zur Verfügung gestellt, um genau das während der Meditation direkt zu erkennen (jenseits des denkenden oder sich auf etwas konzentrierenden Geistes, jenseits von Subjekt und Objekt).

Jedes Wesen, jedes Phänomen ist leer von inhärenter Existenz. Das, was in jedem Wesen immer, überall und ewig („wirklich“) ist, ist das, was Buddhanatur genannt wird (oder formloses selbstgewahres SEIN, SAT-CIT-ANANDA, im ADVAITA VEDANTA)

Die Bedeutung der Leerheit in der buddhistischen Ethik

Die Einsicht in die Leerheit hat auch tiefgreifende ethische Implikationen. Sie fördert Mitgefühl, da das Verständnis der gegenseitigen Abhängigkeit aller Wesen zu einem Gefühl der Verantwortung und Fürsorge führt. Wenn wir die Leerheit erkennen, wird es einfacher, Anhaftungen und negative Emotionen loszulassen, die zu Konflikten und Leiden führen.

Ähnliche Themen

DSC_0160

7.1 - Allgemein - Buddistische Grundlagen

DSC_0125

7.3 - Absolutes und Allumfassendes Mitgefühl

101

7.4 - Die Vier Unermesslichen

192

7.5 - Ursache und Wirkung

130

7.6 - Gegenseitige Abhängigkeit und Wechselwirkung

50

7.7 - Wiedergeburt des formlosen Geistes

13

7.8 - Vergänglichkeit und Tod

DSC_0149

7.9 - Literatur